Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt.

von Gabriel Zuchtriegel

Strasse in Pompeji

“Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude
gemacht hätte”. Mit diesen Worten fasste Goethe die Tragödie der kleinen, in der Nähe von
Neapel liegenden Stadt Pompeji, die im Jahre 79 n. Chr. durch den Ausbruch des Vesuvs
ausgelöscht wurde, und die bis heute anhaltende Faszination dieser Geschichte und der
Wiederentdeckung Pompejis zusammen.
Mit dieser Geschichte befasst sich Gabriel Zuchtriegel, seit 2021 Direktor des
Archäologischen Parks Pompeji, eine damals höchst umstrittene Ernennung.
Der Autor nimmt uns mit auf eine Zeitreise. Das Buch ist spannend geschrieben, man lernt
viel über die griechisch – römische Antike, natürlich die Geschichte Pompejis und einige
seiner herausragenden Sehenswürdigkeiten und die sich im Laufe der Zeit auch wandelnden
Erkenntnisse und Interpretationen.
Was sich in Pompeji alltäglich abspielt, sind ”Annäherungsversuche an eine komplexe
Realität, die längst vergangen ist”. Pompeji ermöglicht einzigartige Einblicke in die antike
Lebenswelt und ist ein gelungenes Beispiel dafür, wenn auch in dieser Form sicherlich selten
möglich, was außerhalb eines rein musealen Elfenbeinturms an Darstellungs- und
Vermittlungsformen alles möglich ist.
Das Faszinierende für Wissenschaftler und die Besucher von Pompeji liegt darin, dass dieses
weitläufige, aber noch lange nicht völlig erschlossene Areal nicht einen sekundären Kontext
wie in einem normalen Museum abbildet, sondern direktes Erleben möglich macht, da diese
“ Stadt gleichsam eingefroren” vor einem liegt.


Pompeji ist wie ein „Riss in der Leinwand, durch den wir die Möglichkeit haben, einen Blick
hinter die offizielle Version der Geschichte zu werfen“. Zuchtriegel weist darauf hin, dass die
“Überlieferungsgeschichte“ stark durch “die Welt der Superreichen und Mächtigen
dominiert” ist, denn: „Arme schreiben selten Tagebücher”. Pompeji durchbricht dieses
Muster und ermöglicht vielgestaltige Einblicke in die Alltagswelt der untergegangenen Stadt.
Interessant sind auch die kritischen Anmerkungen Zuchtriegels zur universitären Ausbildung
und dem Wissenschaftsbetrieb der eigenen Zunft. Dieser selbstkritische Abstand ist wichtig,
um gerade das Arbeiten in einem herausfordernden Kontext wie dem Archäologischen Park
Pompeji zu ermöglichen.
Nachvollziehbar, aber für den Laien sicherlich zunächst neu ist die Aussage, dass die
eigentliche Entdeckung teilweise erst lange nach der Ausgrabung selbst stattfindet, wenn die
Wissenschaftler in ihrer Arbeit fortgeschritten sind. Es ist hoch spannend zu verfolgen, was
die Archäologen beispielsweise aus einer knapp vierzeiligen Inschrift alles herauslesen. Dass
sich dabei über die Jahre und Jahrzehnte natürlich auch modifizierende, sich
widersprechende, strittige Interpretationen herausbilden gehört zur Wissenschaftswelt
hinzu und wird an einigen Beispielen veranschaulicht.
Der Untertitel des Buches erschließt sich mir nach der Lektüre des Buches ehrlich gesagt
nicht so ganz. Allerdings lautet ein schöner und nachdenkenswerter Satz des Buches, der die
Brücke zu diesem Untertitel schlagen könnte: ”Setzt die Prioritäten in Eurem Leben im
Bewusstsein seiner Endlichkeit”.
Pompeji stand seit vielen Jahren auf der Liste der Dinge, die ich gerne sehen wollte. Aber wie
das so ist im Leben, Manches braucht seine Zeit. Dass sich dann das Erscheinen dieses
Buches und die Möglichkeit, Pompeji zu besuchen, zeitlich so exakt überschnitten haben,
war für mich wirklich ein Glücksfall.
Pompeji ist beeindruckend, ja erschlagend, aber in einem positiven Sinne. Meine Tochter,
die gerade ihren Uni Abschluss gemacht hatte, fragte mich beim Verlassen des Geländes:
„Papa, finanzierst du mir noch ein Studium der Archäologie?“ Das war nicht nur scherzhaft
gemeint. Die Antwort steht noch aus.
Die Geschichte, die Entdeckung Pompejis gehen weiter. Vor wenigen Wochen wurde ein
neues Haus mit verschiedenen Sälen und prächtigen Fresken entdeckt. Ein besonders
schönes zeigt die Seherin Kassandra zusammen mit dem griechischen Gott Apollon.
Pompeji ist und bleibt spannend, ein Besuch wird angesichts neuer Entdeckungen immer
wieder lohnenswert sein.
„Pompeji“ wird von Zuchtriegel auch als Entwicklungsprojekt im Kontext der Region
Campania verstanden. Interessant ist die Darstellung der Projekte der Direktion, vor allem
Jugendliche zum Beispiel über Theaterarbeit mit einzubinden und mit Ihnen zusammen ihren
„Sogno di volare“, den „Traum vom Fliegen“, d.h. dem Ziel, ihren prekären
Lebensbedingungen zu entkommen, zu träumen und zu verwirklichen.
Das Buch, das auch einen ansprechenden Bildteil enthält, hat mehrere Auflagen erreicht, ist
inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich und aktuell sicherlich der beste Reiseführer für
Pompeji.


Zum Abschluss noch ein Hinweis. Im Suhrkamp Verlag ist ein opulenter Bildband erschienen,
fast 500 Seiten stark: „Pompeji. Eine Reise durch die berühmteste Stätte der klassischen
Antike“. Angesichts des stolzen Preises von 150 € steht dieser Band leider nicht bei mir im
Regal. Aber es lohnt sich, beim nächsten Besuch in der Buchhandlung diesen Band mal in die
Hand zu nehmen.

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