Demian Lienhard: Jazz im III. Reich

Demian Lienhard: Mr. Goebbels Jazz Band, 2023


Ich höre gerne Jazz, aber von „Mr. Goebbels Jazz Band“ hatte ich bis dato nichts gehört. Das
Interesse war durch diesen Titel, der für den Schweizer Literaturpreis 2023 nominiert war,
demnach schnell geweckt. Einer der schlimmsten Nazis mochte Jazz, der doch als „entartete
Musik“ galt.

Bereits auf den ersten Seiten wird aber schnell klar, worum es geht. Die Auslandspropaganda
des Nazi-Regimes will Großbritannien gleichsam durch permanente Berieselung schwächen.
Instrument hierfür ist die tägliche Radiosendung „Germany Calling“, die von einem US-
Amerikaner, William Joyce, geleitet wird.
Um bei den Briten besser anzukommen, soll diese Sendung durch Jazzmusik begleitet werden,
wobei die Songs im Sinne der Nazi-Propaganda verändert oder neue Strophen hinzugedichtet
werden. Die Jazz-Band besteht aus Musikern, deren Lebensberechtigung im Nazi-Regime mehr
als fraglich ist und die mit Sicherheit unter Gestapo-Beobachtung stehen: „Juden, Schwule,
Ausländer; all das gebe es genug in ihrer Truppe, sagt Brocksiepe, und dass diese verjazzte
Musik spielten mache die Sache bestimmt nicht besser“.
Das Propagandaministerium beauftragt 1941, hier nun geht es auf die fiktive Romanebene,
den Schweizer Schriftsteller Fritz Mahler, einen Roman über diese Band zu schreiben, der Titel
wurde vom Ministerium vorgegeben. Der Roman soll sicherstellen, dass nach dem glorreichen
Sieg Nazi-Deutschlands die Bevölkerung davon überzeugt ist, „dass die deutsche
Radiopropaganda mindestens ebenso viel zum Sieg…beigetragen habe wie
Bombergeschwader, U-Bootflotillen und Panzerverbände“.
Nach dieser spannenden Einleitung verliert sich für mich der Erzählstrang etwas in einer
allzulangen Darstellung der Lebensgeschichte des William Joyce und der Schilderung seines
Aufstiegs zu einem der führenden britischen Nationalsozialisten, der schliesslich nach Berlin
flüchten musste. Dort nennt er sich in Wilhelm Fröhlich um und wird zum unmittelbaren Chef
Mahlers.
Der Anfang im Umfeld der Band ist für Mahler nicht einfach, denn die Musiker haben den
Verdacht, dass er als Nazi- und Gestapo-Spitzel eingeschleust wurde.
Es dauert lange, bis es Mahler in seinem auf die Fertigstellung des Romans fokussierten
Egoismus dämmert, unter welchen prekären, lebensgefährlichen Bedingungen jeder einzelne
dieser Musiker lebt und arbeitet. Der Gestapo-Zugriff kann jeden Moment erfolgen. Das
Damoklesschwert der Einberufung hängt über jedem einzelnen von ihnen. Vom
Orchestergraben in den Schützengraben ist es kein weiter Weg. Wie es einer der Musiker
formuliert: „Zu wenig Jude, um von der Wehrpflicht befreit zu sein, aber zu viel, um als
Deutscher durchzugehen“.
Mit der Zeit vertiefen sich jedoch die persönlichen Beziehungen, langsam wächst Vertrauen
zwischen Mahler und einigen Bandmitgliedern. Aus den „Figuren“ seines Romans werden
Freunde.
Diese Freunde werden durch einen Schwebezustand zwischen Bedrohung, Angst und Arbeit
am Leben gehalten. Das Beklemmende resultiert aus dem Bewußtsein, dass sie ebenso wie die
Nazis selbst für eine Zukunft arbeiten, „in der es diesen Schwebezustand, von dem sie zehren,
so nicht mehr gibt“. Sie arbeiten für einen Sieg des III. Reichs, wissen aber, dass sie in einem
nationalsozialistischen Nachkriegsdeutschland in ihrer jetzigen Funktion nicht mehr gebraucht
werden und keine Überlebenschance haben dürften.
Mahler kommt nicht so recht voran mit seiner Auftragsarbeit, vor deren Übernahme ihn sein
Vater eindringlich gewarnt hatte. Er verliert sich in vielerlei, auch biographischen
Detailrecherchen, kommt dem Faszinosum einer Orchestergemeinschaft jedoch nicht so richtig
auf die Spur. So fällt es ihm auch immer schwerer seinen Auftraggebern gegenüber zu
begründen, warum er das Buchprojekt nicht zu einem Abschluss bringt.
Auch Berlin ist nicht so seine Stadt, die Stadt, die niemals schläft, deren „hektische Unruhe von
ihren Bewohnern gerne mit Tatendrang und Einfallsreichtum verwechselt (wird)“.
Fröhlich kann diese Verzögerungen je länger desto weniger verstehen und akzeptieren, schon
gar nicht irgendwelche Skrupel wegen der potentiellen Bedrohung der Musiker: “Wenn das
Orchester zu Grunde gehe oder verschwinde, dann habe Mahler doch das finale furioso, das er
suche: dramatisch, spannend, erschütternd“. Mit einem solch abgrundtiefen Zynismus kann
Mahler nun überhaupt nicht umgehen. Er will das Buchprojekt aufgeben. Aber entschiedener
Widerspruch kommt von unerwarteter Stelle, vom Orchesterleiter. Mahler müsse
weiterarbeiten, er könne die Orchestermitglieder schützen, „…wenn er ihnen, vor allem den
am meisten gefährdeten Personen eine gewichtige Rolle in seinem Text gebe. Wer nämlich in
einem hochoffiziellen Propagandaroman seinen fest verankerten Platz habe, den könne man
schlecht aus jener Wirklichkeit entfernen, die dieser Roman letztlich abbilde…“. In diesem
Moment ist „Mahler beschwingt von der Idee, dass sein Schreiben zum ersten Mal einen Sinn
bekommen habe, einen wirklichen Sinn.“
Nach zweieinhalb Jahren schliesslich muss Mahler Fröhlich sein Manuskript vorlegen. Dieser ist
alles andere als begeistert und verlangt grundsätzliche Überabeitung. Mahler flüchtet
überfordert aus Berlin nach Rügen und dann…na ja, der Schluss des Romans soll hier nicht
verraten werden…
Aber eines schon: Fröhlich bleibt bis zum Schluss überzeugter Nazi und zahlt für seine Taten. Er
hatte sich in früheren Jahren den britischen Pass erschlichen und war somit de iure kein
britischer Staatsangehöriger. Das hinderte die Briten jedoch nicht, ihn 1946 als letzten im
britischen Empire wegen Hochverrats Verurteilten hinzurichten.
Das Buch thematisiert ein historisches, kaum bekanntes Faktum, dessen Aufarbeitung in der
deutschen (Jazz)geschichte sicherlich der Mühe wert ist.
Die Mischung zwischen Fakt und Roman ist jedenfalls gelungen und weckt weiteres Interesse.
Lienhard nennt Originalnamen der Band-Mitglieder, wer googelt, wird jeden einzelnen finden,
dazu links zu den genannten Musikstücken. Es lohnt sich, reinzuhören und natürlich zu lesen!

 

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