Ich stieß zufällig auf dieses Buch, der Autor Carsten Sebastian Henn war mir unbekannt. Der erste Gedanke beim Lesen des Titels war: Das hätte ein Titel für meinen Blog sein können! Aber wie das so ist, die besten Einfälle kommen einem meistens zu spät oder jemand anderes hatte sie schon.
Der 72-jährige Buchspazierer Carl Kollhoff trägt jeden Abend für die Buchhandlung, in der er früher gearbeitet hat, Bücher zu ihren zukünftigen Lesern. Jeder dieser Leser hat dabei sein eigenes Schicksal und lebt von der Außenwelt weitgehend abgekapselt. Sei es der reiche Adlige in seinem Schloss, der Analphabet, der sich von Carl bei der Übergabe des Buches immer den Inhalt erzählen lässt oder die Nonne, die sich als einzig Verbliebene des Ordens in dem Kloster eingeschlossen hat.
Der Buchspazierer und seine Bücher sind für die meisten seiner Kunden die einzige Verbindung zur Außenwelt. Auch Carl selbst ist eher ein Einzelgänger. Sein Lebensinhalt sind seine Bücher und seine abendliche Aufgabe. Sein einziger Freund, und ehemaliger Chef, lebt im Pflegeheim. Unverhofft erhält Carl auf seiner abendlichen Runde zunächst unwillkommene Begleitung. Die neunjährige Schascha gesellt sich zu ihm und lässt sich nicht mehr abschütteln. Ihre direkte, ja unverblümte Art mit dem alten Mann umzugehen ist erfrischend. Carl schließt sie schnell ins Herz und freut sich auf die abendliche Tour.
Wurden die Bücher bislang immer an der Tür ohne weiteren persönlichen Austausch abgegeben, so öffnet Schascha im wahrsten Sinne des Wortes Türen. Die Türen zu den Wohnungen, aber vor allem die Türen zu den Lebenswelten seiner Kunden und ihren Problemen. Es ist Schascha, die daraus den Schluss zieht, Carl müsse seinen Kunden nicht die Bücher bringen, die sie bestellt haben, sondern die, die sie brauchen. Das macht er dann sogar auf eigene Kosten. Er verkauft nach und nach seine eigene Bibliothek, um seine Kunden weiter beliefern zu können.
Schascha und ihre Kreativität führen auch bei Carl zu neuen Ideen. Und so werden nach und nach die Lebenswirklichkeiten seiner Kunden miteinander verknüpft.
Dann schlägt das Schicksal zu. Carl wird als Buchspazierer entlassen. Die Tochter seines Freundes und Chefin der Buchhandlung kann man ihm nicht viel anfangen, er steht der Modernisierung im Wege. Carl stürzt in eine Krise, kapselt sich völlig ab.
Aber es gibt ja Schascha, die ihn mit Hilfe ihres Vaters und all seiner Kunden aus dieser Depression herausholt, und am Ende findet sich sogar eine neue und interessante Aufgabe für Carl.
Es ist eine kurze, einfache, schöne Geschichte. Und ja, man hätte sie zu einem vielhundertseitigen Roman ausbauen können, wenn man alle Einzelschicksale und Gedankengänge der Beteiligten aufbereitet und dargestellt hätte. Und ja, das mag alles nach heiler Welt klingen. Aber muss immer alles durchpsychologisiert und problematisiert werden? Kann man sich nicht schlicht auch mal an einer einfachen und schönen Geschichte erfreuen?
Einer Geschichte, die nicht nur Bücher und das Lesen zum Thema hat, sondern auch zeigt, wie Empathie, Interesse am Anderen, am Mitmenschen, die Fähigkeit, den ersten Schritt zu tun, in der Lage ist, nicht selten selbsterrichtete Mauern einzureißen und die Erfahrung zu vermitteln, dass sich immer wieder neue Lebensperspektiven eröffnen können.
Am 10. Oktober kommt die Verfilmung des Buches mit Christoph Maria Herbst in der Hauptrolle in die Kinos. Ich bin gespannt.