Review also in English!! Tranqulino Penoy, hochintelligent, aber mit verkrüppelten Beinen, überlangen Armen und weiteren Mißbildungen zur Welt gekommen, wird von allen Gagamba, „Der Spinnenmann“ genannt. Er, der sich nur mit Hilfe seiner Hände in einer kleinen fahrbaren Kiste fortbewegen kann ist „der Krüppel auf dem Gehsteig, der sich durchkämpft, voller Leben und im Rhythmus mit der Bewegung der Menschen, ohne Probleme, abgesehen von der Missbildung, die er schon längst akzeptiert hat“. Trotz dieser gravierenden Behinderung führt er mit Frau und Kindern ein harmonisches und glückliches Leben. Gagamba verkauft Lose vor dem Nobelrestaurant und und High-Society-Bordell „Camarin“. An einem Sonntag um 13h schlägt „ein tödliches Erdbeben zu“. Trotz aller Verwüstungen stürzt nur ein Gebäude komplett zusammen, das Camarin. Wer waren die Gäste, wie ihre Lebensumstände, was hat sie ins Camarin geführt, wer hat überlebt? Dieser Ausgangsfrage geht Sionil José in zwölf Kapiteln nach. Elf davon widmen sich verschiedenen Personen, Familien, Paaren, Freunden oder sonstigen Beziehungen, die sich aus unterschiedlichen Gründen im Camarin befinden. Nur wenige, so Gagamba selbst und das aus der Provinz nach Manila zugewanderte Paar Joe und Nany samt der neugeborenen Tochter halten sich im Umfeld des Camarin auf. Joe und Nany sind die einzigen, für die „die nächste Mahlzeit, wo sie an diesem Abend schlafen, wo sie am nächsten Morgen hingehen sollten“ die wichtigsten Probleme ihrer Lebensrealität, in der zudem die Ärmsten sich die größten Feinde sind. Zeitlich umfassen diese Geschichten vor allem die Zeit der Militärdiktatur von Präsident Marcos und seinem korrupten Clan, aber auch die Übergangszeit und die erste demokratischen Regierung nach Marcos unter der Präsidentin Aquino. Auch wenn es manifeste Unterschiede gibt, das Markenzeichen des politischen Systems, „Vetternwirtschaft, Dankbarkeit, persönliche Loyalität“, ist nach wie vor gültig. Daher ist die Frage von Vergessen der eigenen früheren Werte, von karrieregeleiteter Anpassung, von raffgierigem, mit allen möglichen Argumenten übertünchtem Opportunismus ein durchgängiges Thema. Am eindrücklichsten wird dies an Hand der langjährigen Freundschaft zwischen Eric und Gaston behandelt, die sehr unterschiedliche Entwicklungen genommen haben. Als ehemalige Studentenführer gegen die Marcos-Diktatur galten sie als „zwei Erbsen in einer Hülse“, saßen sogar gemeinsam in einer Gefängniszelle und finden finden sich nun auf konträren politischen Seiten wieder. Gaston kann nicht verstehen, wie man vergessen kann, „wie Marcos und seine Freunde dieses Land ausgeplündert und Menschen gequält haben? Sie tauchen jetzt wieder auf – die Maden, die sich am Kadaver dieser Nation gütlich getan haben, sie lächeln uns wieder vom Fernsehschirm zu, sie lachen über unsere Leichtgläubigkeit, unsere Bereitschaft, mit diesem hässlichsten aller Ungeziefer gesellschaftlich zu verkehren, weil so zu handeln dem höchsten Gebot entspricht, sich wieder zu versöhnen, Filipino zu sein, wo doch unsere Unfähigkeit, und uns ihre ihre Taten zu erinnern, den eigentlichen Kern unserer Verdammung darstellt“. Wie im Falle eines Bordells nicht anders zu erwarten, spielt natürlich auch der Sex eine zentrale Rolle. Sei es die Sex-Besessenheit des Eigentümers des Camarin, der auch die jungen Frauen als sein Eigentum ansieht, seien es die Altersprobleme zweier ränkeerfahrener Politiker, die sich Tipps für den Umgang mit den Prostituierten geben aber auch wissen, dass die aktiven Zeiten vorbei sind. Eher etwas konstruierter erscheint die Geschichte des Dolf Contreras, der mit einer jungen ehemaligen Prostituierten aus dem Camarin zusammen lebt, sie aber nicht aus ihrer Vergangenheit entlässt und deshalb verliert. Sie findet Frieden als Nonne in einem italienischen Kloster. Natürlich zieht sich auch das strukturelle Problem der Korruption durch einige der Geschichten. So der Fall des bislang unbescholtenen Major Flor, der durch einen alten, mit allen Wassern gewaschenen und in allen Finessen bewanderten Kameraden der Militärakademie in Versuchung geführt wird und erstmals die Chance sieht, korrupt zu sein, ohne sich zu verkaufen oder völlig verbiegen zu müssen. Er zweifelt bis zur letzten Sekunde vor dem Erdbeben, ob er sich darauf einlassen soll. Hätte er es letztlich getan? In manchen Fällen prallen nicht in Einklang zu bringende Haltungen aufeinander. So ist der betagte spanische Missionar Father de la Terra, frustriert, aber dennoch optimistisch, diese „lethargische Nation in zu Bewegung bringen“, entschlossen, die Einladung eines seiner früheren, inzwischen arrivierten Lieblingsschülers auszuschlagen und das Camarin wieder zu verlassen. Er glaubt sich in dieser Umgebung und der Preise angesichts der Armut im Lande zu versündigen. Es gibt noch einige andere, ebenso spannende Geschichten. Alle geschilderten Personen befinden sich um 13h, der magischen Stunde des Katastrophensonntags, im Camarin oder in der unmittelbaren Umgebung und werden vom Erdbeben überrascht. Gagamba kannte sie alle. Für die Gäste des Camarin ging an diesem Sonntag „ihre gut geordnete Welt zugrunde. Ihre Mägen waren wenigstens gefüllt, ihr Geist erleichtert. Vielleicht waren dort auch aufrechte Männer, die mit ihnen in Würde starben. Der Tod hat soviel Vereinendes und Demokratisches an sich, das Leben aber sicher nicht, auch wenn alle in Sünde leben. Die Armen, die ihr Heil im Gebet oder in einem Bündel Lotterielose suchen, haben manchmal nichts anderes übrig als den Segen eines neuen Tages“. Nur drei Menschen überleben, die sechs Monate alte Tochter von Joe, der Eigentümer des Camarín, Fred Villa, allerdings hüftabwärts gelähmt und Gagamba selbst. Ansonsten „blieb der Trümmerhaufen stumm“. War es „Gottes unwandelbarer Willen“? Gagamba, nicht religiös, aber Gott anerkennend, immer mit vielen Fragen ohne Antworten:„Der Herr gab Gagamba nie ein Zeichen, dass er ihn gehört oder dass er irgendein Gefühl für seine missratene Schöpfung hätte“. Aber, „er würde weiterleben, Salz der Erde, überleben , wie niedere Wesen überleben und er wäre jetzt der Erde noch näher…“ Sionil José, bekannt für den sozialkritischen Fokus seiner Romane, eröffnet ein breites Kaleidoskop sehr verschiedener Personen und Beziehungen und beschreibt so zahlreiche Aspekte der philippinischen Politik und Gesellschaft in nicht unbeträchtlichen Teilen einer gespaltenen, kranken Gesellschaft. Sinoil José gelingt es, die verschiedenen Personen und deren Beziehungen zueinander überaus plastisch bis drastisch, und damit sehr lebensnah und glaubhaft zu schildern. Erfrischend ist seine gehörige Portion Ironie und Sarkasmus. Er lotet die Grauzonen menschlichen Verhaltens aus, die daraus resultierende Unsicherheit des Einzelnen und die Ambivalenzen. Seine Spannung bezieht der Roman aus der Vielfalt der geschilderten Situationen und Entscheidungsnöte, die alle durch das todbringende Erdbeben in der Schwebe einer nicht aufzulösenden Unentschiedenheit, Offenheit gehalten werden und dem