Ruth Hoffmann: Das deutsche Alibi – Mythos „Stauffenberg-Attentat“

Ich will mit einem „Bekenntnis“ beginnen. Für mich waren als Schüler Stauffenberg und die Beteiligten Helden. Männer, die unter Einsatz ihres Lebens versucht hatten, einen der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte zu beseitigen, dabei scheiterten, und dennoch Großes und Beispielhaftes getan hatten. In diese Reihe gehörten für mich auch die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter der „Weißen Rose“, „der einsame Attentäter“ (so ein Biographie – nTitel) Georg Elser oder der beeindruckende Dietrich Bonhoeffer, dessen wenige Monate vor seiner Hinrichtung in Plötzensee verfasstes Gebet „Von guten Mächten“ mich bis heute begleitet.

Wie hätte Deutschland diese Menschen gebraucht!

Sie waren und sind vermutlich bis heute für Viele die bekanntesten Persönlichkeiten des Widerstandes gegen Hitler.

Je mehr man las, desto mehr erfuhr man jedoch über die Breite des Widerstandes, die sehr unterschiedliche Herkunft von sich dem Regime entgegenstellenden Menschen, ihre Denkweise, ihre Motivationen, ihre Hoffnungen, ihre Ziele, ihre Erfolge, ihr Scheitern, ihr Sterben oder auch ihr Überleben. Zu meinen ersten beeindruckenden Leseerlebnissen zählt das Buch von Peter Hoffmann (Widerstand-Staatsstreich-Attentat), das mich regelrecht in Bann geschlagen hat.

Über die Jahre erarbeitete die Forschung neue Erkenntnisse, schuf Raum für differierende Interpretationsansätze und multiple Schwerpunktsetzungen.

Insbesondere der Blick auf die militärischen Widerständler, ihr Herkommen, ihre Denkungsart oder ihre anfängliche Nähe zum nationalsozialistischen Regime wurde kritischer und ermöglichte ein immer realistischeres Bild der handelnden Personen und der Umstände.
Die Verfasserin ist beileibe nicht die erste, die Hand an den „Mythos“ legt. Ich verweise nur auf die hervorragende Biographie Stauffenbergs von Thomas Karlauf (2019).
Es entwickelte sich bei mir früh ein Bewusstsein dafür, dass es nicht immer nur die „Großtaten“ waren, die erinnerungswürdig und beispielhaft sind. So setzte Hans Fallada in seinem 1947 erschienenem und heute noch lesenswerten Roman „Jeder stirbt für sich allein“ dem Ehepaar Hampel ein Denkmal. Die Biographie der deutschen Kommunistin Hertha Gordon-Walcher („Bittere Brunnen“), 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, ist ein jüngstes Beispiel von in diesen Kontext gehörenden Lebensläufen.

Das Thema lässt die Deutschen offensichtlich nicht los, und das ist gut so.

Die Geschichte des Widerstandes gegen Hitler dürfte weitgehend erforscht sein. Wer sich über die Jahre etwas intensiver mit dem Thema beschäftigt hat, wird in „Das deutsche Alibi“ nichts umstürzend Neues finden. Aber es ist gut und wichtig, diesen Teil deutscher Geschichte für jede Generation immer wieder aufzugreifen und zu erzählen. Dies bietet die Chance, diesen Teil deutscher Geschichte an aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen rückzukoppeln. Raum für (neue) Interpretationen bleibt immer.

Nun kann man, so der Ansatz des Buches, auch auf der Basis von reiner Quellenauswertung, d.h. der fachlichen und wissenschaftlichen Arbeit anderer, ein interessantes, anregendes Sachbuch mit neuen Erkenntnissen oder Interpretationsansätzen schreiben. „Das deutsche Alibi“ fällt jedoch nicht in diese Kategorie.

Zwar filtriert die Verfasserin aus ihrer Literaturschau eine ganze Reihe von zutreffenden, wenn auch bekannten Informationen heraus. Sei es die halbherzige und späte Aufarbeitung des Nationalsozalismus in der Frühphase der Bundesrepublik, Schicksale wie die von Fritz Bauer, der sich um die Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern verdient machte oder die Verengung der Widerstandsrezeption auf den militärischen Widerstand.

Dennoch tat ich mir schwer mit diesem Buch. Aber nicht, weil es mir inhaltlich substantiell nichts Neues brachte. Es sind die Verallgemeinerungen, die Einseitigkeiten, offensichtliche Voreingenommenheiten, das Undifferenzierte, die Ausblendungen, eine vielfach allzu simple Argumentationsweise, das oftmals analytisch Unterkomplexe, die aufstoßen.

Ich will mich auf einige wesentliche Kritikpunkte beschränken.

  1. „Linker“ und sonstiger Widerstand

Die Verfasserin kritisiert, dass der „linke Widerstand“ nicht hinreichend berücksichtigt wurde und wird. Das traf sicherlich vor allem in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zu und wurde der Geschichte und dem Blutzoll, den viele von der politischen Linken zahlen mussten, nicht gerecht.

Ich habe den größten Respekt vor dem Mut und der Haltung der Sozialdemokraten, die meisten kommunistischen Abgeordneten waren bereits verhaftet oder auf der Flucht, die im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz Hitlers gestimmt haben. Der Satz des Sozialdemokraten Otto Wels in seiner Rede am 23. März 1933: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, hat seinen Platz in der deutschen Geschichte.

Weitgehend zutreffend ist auch, dass in der öffentlichen Perzeption über viele Jahre der 20. Juli dominierte und viele andere Gruppen und Widerstandsformen überlagerte. Wobei die „Weisse Rose“ der Geschwister Scholl, sehr früh ebenfalls ein markanter „Erinnerungsort“ der Widerstandsgeschichte, nun nicht dem militärisch-adligen Widerstand zuzurechnen ist.
Dabei gab es „Tausende andere Mutige, die viele Jahre vor dem 20. Juli 1944 ihr Leben für das riskiert hatten, was sie für richtig hielten“. Dem ist nur zuzustimmen.
Aber standen diese Gegner wirklich nur links, im Ernst?

Es gab beispielsweise auch Politiker der katholischen Zentrumspartei ebenso wie aus anderen bürgerlichen Parteien oder ziviligesellschaftlichen Organisationen, die im Widerstand waren, in Gefängnissen und Konzentrationslagern saßen oder zu Tode gekommen sind.

Skurril wird es, wenn die Verfasserin Kardinal Höffner vorwirft, in einer Rede zum 8. Mai nichts zum katholischen Widerstand gesagt zu haben. Das wäre doch die Gelegenheit gewesen, in ihrem Buch ein kleines Kapitel darauf zu verwenden. Aber halt, der erste Widerstand kam ja nur von „links“. Ein Pater Alfred Delp, ein Pater Rupert Mayer oder ein Andreas Hermes, um nur drei Namen zu nennen, finden sich daher im Personenverzeichnis dieses Buches nicht. Es sind solche undifferenzierten Verengungen, die verärgern und ein unzutreffendes, weil unvollständiges Bild zeichnen.

  1. „Widerstand“ – Messen mit doppeltem Massstab

Ein zentrales Problem besteht im Verständnis des Begriffes „Widerstand“.

Ich will hier gar nicht in die Debatte einsteigen, welche Formen von Widerstand es geben mag. Es geht im Kern darum, gegen was oder wen Widerstand geleistet wurde, im Falle der Nazis gegen eine der schlimmsten Diktaturen in der Menschheitsgeschichte.

Vor diesem Hintergrund sollte man in der Lage sein, sich gegen den Missbrauch des Begriffs „Widerstand“ durch die Studentenbewegung 1968 zu wenden, die meinte, diesen Begriff für ihren Kampf gegen ein „faschistisches Nachkriegsdeutschland“ okkupieren zu können.

Diese mangelnde Differenzierung beim „Wogegen“ setzt sich dann fort bei der Debatte des „Wofür“ Widerstand geleistet wurde.

Ich habe vor jedem den tiefsten Respekt, der sich wie aktiv auch immer gegen das Nazi-Regime gestellt hat. Da spielt es für mich keine Rolle, ob jemand Kommunist, Gewerkschafter, Liberaler oder katholischer oder evangelischer Christ oder sonst was war.

Dies umso mehr, als uns „Nachgeborenen“ etwas mehr Demut gut zu Gesicht stünde, denn keiner von uns weiß, wie er selbst sich in solchen Zeiten verhalten hätte. Die wenigsten sind zum Helden geboren.

Dies darf aber nicht verbieten zu fragen, was denn die Widerständler an Stelle der Hitler-Diktatur wollten, d.h. „wofür“ Widerstand geleistet wurde. Dagegen wendet sich die Verfasserin jedoch mit Händen und Füßen.
So geht der kritische Blick der Verfasserin vor allem in Richtung des militärisch-adligen Widerstandes.
Unbestritten ist: Die Gruppe um den 20. Juli hatte keinen Verfassungsentwurf erarbeitet, den der Parlamentarische Rat 1948 dann einfach abgenickt hätte. Viele aus den verschiedenen Verschwörer- / Widerstandskreisen waren inhaltlich auf der Suche und ja, sie waren nicht die Demokraten der Bundesrepublik, und der Klimawandel war im Übrigen auch noch nicht ihr Thema. Dennoch ist es zu undifferenziert, dem adlig-militärischen Widerstand eine zu gering ausgeprägte und nicht das Grundgesetz oder die demokratische Struktur Nachkriegsdeutschlands detailliert vorwegnehmende Demokratieorientierung vorzuhalten.

Denn: Auch wenn die Demokratieerfahrung mit der Weimarer Republik für viele nicht unbedingt positiv war, ist eines klar: Sie wollten keine Diktatur! Sie wollten einen Rechtsstaat! Sie wollten die Achtung der Menschenwürde! Sie hatten die Lektion gelernt!

Und es gab viele Ansätze und Versuche, unter höchst gefährlichen Bedingungen zu diskutieren und Antworten für die Zeit nach Hitler zu finden. Der Kreisauer Kreis, der daran gearbeitet hat, die politische Spaltung des Christentums zu überwinden und ebenfalls seinen Blutzoll zahlen musste, ist nur ein herausragendes Beispiel.

Vieles von diesen Debatten und Werten findet sich im Grundgesetz wieder. Der Vorwurf einer „gerade von konservativen Politikern so gern herbeikonstruierte(n) Verbindungslinie zwischen dem deutschen Widerstand und dem Grundgesetz“ ist daher ebenfalls zu undifferenziert greift zu kurz.

So berechtigt die Frage, besser gesagt, in diesem Buch der Vorwurf, an den adlig-militärischen Widerstand ist, wie lange man zumindest in Teilen dem NS-Regime nahegestanden habe und wie spät und warum man sich schliesslich zum Widerstand entschlossen habe ist, so berechtigt erscheint doch die Frage an den kommunistischen Teil des Widerstandes, welches System denn während des Widerstandes unterstützt wurde und was an die Stelle der Nazi-Diktatur treten sollte.

Dies wird von der Verfasserin systematisch abgeblockt. Der „linke“ Widerstand rechtfertigt alles, überdeckt alles! Man war ja „Kind seiner Zeit“. Wenn bei Stauffenberg und anderen ihre anfängliche Nähe zum Naziregime und ihre späte Bekehrung kritisiert wird, dann muss jedoch der Hinweis erlaubt sein, dass viele der kommunistischen linken Widerständler eine vergleichbare Bekehrung nie durchgemacht haben.

Um es zu wiederholen: Das schmälert den kommunistischen Widerstand nicht und achtet den Blutzoll nicht gering, der entrichtet wurde.

Aber in dem Moment, in dem es um die demokratische Fortsetzungsgeschichte geht bedarf es einer differenzierten Sicht auf Gruppierungen und ihre Zielsetzungen.

Und die Kommunisten verbargen ja auch nicht, was sie wollten: Die „Diktatur des Proletariats“ und dem leuchtenden Vorbild des großen Bruders „Sowjetunion“ und der KPdSU folgen. Das war die Blaupause für die kommunistische Vorstellung des Nachkriegsdeutschlands, wie sie ja dann in der DDR auch brutal umgesetzt wurde.

Ein Walter Ulbricht, Erich Honecker oder ein Mielke gehören für mich nicht in eine demokratische deutsche Tradition. Ebensowenig wie andere Handlanger des Stalinismus, die genau wussten, wem sie wofür die Hand reichten. Will man im Ernst behaupten, die im Moskauer Hotel Lux sitzenden deutschen wie internationalen Kommunistenführer hätten an der Errichtung (deutscher) demokratischer Verhältnisse gearbeitet?

In dieses Narrativ, oder sollte man sagen „Strategie“ der Entkopplung zwischen „Wogegen“ und „Wofür“ des Widerstandes fügt sich dann auch Folgendes gut ein.
Wohl bezogen auf die 50er und beginnenden 60er Jahre spricht die Verfasserin dann schließlich vom „alten Vorurteil vom bösen Kommunismus“. Man traut seinen Augen nicht.
Hatte die Welt nicht seit 1917 vor Augen, was ein kommunistisches System in der Realität bedeutete? Hatte der westliche Teil Europas nicht seit der Spaltung Europas vor Augen, was Kommunismus vor der Haustür, im Falle Deutschlands mit Mauer und Schießbefehl im eigenen Land bedeutet?

Das System des sowjetischen GULAG, das ja nicht erst seit dem „Archipel GULAG“ (1973 erschienen) von Solschenizyn bekannt war, bereits 1962 erschien sein „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“. Die Niederschlagung des Aufstandes 1953 in der DDR, die tödlichen Schauprozesse in der Tschechoslowakei und anderen Staaten, die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956, Chruschtschows Geheimrede 1956 mit der Aufdeckung der stalinschen Verbrechen bis hin zur Niederwalzung des Prager Frühlings 1968 durch sowjetische Panzer.

Alles nur fake-news, die das „Vorurteil gegen den bösen Kommunismus“ und den Kampf gegen „links“ nährten, gab es nicht genügend Empirie um sich ein faktenorientiertes Urteil zum Thema Kommunismus zu bilden?

  1. Feindbild Helmut Kohl

Herausragender Trigger ist für die Verfasserin Helmut Kohl, an dem sie sich über weite Strecken geradezu obsessiv abarbeitet. Ihre abgrundtiefe Verachtung gegen den ehemaligen Bundeskanzler schreibt sie sich aus jeder journalistischen Pore.

Nun kann man zu Kohl menschlich oder politisch stehen wie man will, ein Heiliger war er ebenso wenig wie wir selbst es sind.

Seitens der Verfasserin gibt es aber offensichtlich ein anders gelagertes, mit dem eigentlichen Thema des Buches in keinem Zusammenhang stehendes Vorverständnis und Aversionsfaktoren, die nicht offengelegt werden, die „Argumentations“linien des Buches jedoch grundieren und deutlich spürbar sind.

Die Verfasserin geisselt die Formulierung Kohls von der „Gnade der späten Geburt“ und zieht sie ins Lächerliche. Weil sie sie nicht verstanden hat oder bewußt missinterpretiert mag dahinstehen.

Jedenfalls versucht die Verfasserin um diesen Ausspruch Kohls herum ein Narrativ zu entwickeln, wonach Kohl zum obersten strategischen Geschichtsrevisionisten der bundesrepublikanischen Geschichte dämonisiert wird.

Den unionsgeführten Bundesregierungen wird vorgeworfen, „die Jahre zwischen 1933 und 1945 einebnen zu wollen“. Der „sich christlich nennenden Union“ wird vorgeworfen, „nach alter Tradition Täter und Opfer zu vertauschen“. Die CDU habe lange Jahre gebraucht, „um in den Verschwörern keine Verräter mehr zu sehen“.
Dass in den Reihen der Unionsparteien Politiker an führender Stelle waren, die im aktiven Widerstand waren und in Konzentrationslagern gesessen hatten wird schlichtweg ausgeblendet.

Das ist starker Tobak und nicht nur eine Simplifizierung, das ist Geschichtsklitterung.

Die Aversion gegen Kohl triftet dann ins Absurd-Lächerliche ab, wenn sich die Verfasserin seitenweise an seiner Entscheidung abarbeitet, die Käthe-Kollwitz-Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ ins Zentrum der Neuen Wache in Berlin als Gedenkstätte für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ zu stellen.

Wenn ich vor dieser Skulptur stehe, denke ich nicht an Freisler als Opfer, sondern habe viele andere vor Augen. Und diese beeindruckende Skulptur der trauernden Mutter gibt diesem Leid Ausdruck.
Aber, so viel hat man aus den vorangegangen Seiten gelernt, da Kohl sich für diese Skulptur entschieden hat, taugt sie natürlich nicht für dieses Mahnmal. Man ist versucht, die Verfasserin darauf hinzuweisen, dass zumindest in diesem Falle für Kohl sprechen sollte, dass er die Skulptur einer sozialistischen Künstlerin ausgewählt hat.

Die „Kritik“ geht schliesslich sogar so weit zu monieren, dass die Statue um das Fünffache hatte vergrößert werden müssen. Was die Verfasserin wohl kritisiert hätte, wenn man die Originalgröße der Statue beibehalten und diese sich in dem Raum verloren hätte: Geringschätzung der Künstlerin oder gar der Opfer und der Trauer um sie?
Diese Art von „Kritik“ ist schlichtweg nicht mehr ernst zu nehmen.

  1. Über diese beiden zentralen Aspekte hinaus gäbe es eine ganze Reihe weiterer, die hinterfragt werden könnten, weil in der Darstellung verkürzt, ausgeblendet oder schlicht unterkomplex behauptet wird.

So mal schnell aus der Hüfte geschossene Behauptungen wie, dass der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR von 1973 die „internationalen Voraussetzungen für die Wiedervereinigung 1990 schuf“. Da wäre ja wohl noch Vieles hinzuzufügen.

Die Verfasserin ist schnell bei der Hand, andere zu kritisieren. Selbst Richard von Weizsäcker kommt mit seiner berühmten Rede zum Rede zum 8. Mai 1945 nicht ungeschoren davon, denn er habe nicht alles gesagt.
Sie selbst hat jedoch keine Probleme damit, auch mal was wegzulassen. Sachverhalte werden verkürzt dargestellt, aber Zuschreibungen vorgenommen. Sei es das Attentat auf Benno Ohnesorg 1967, seit Jahren weiss man, dass der Schütze bei der Stasi unter Vertrag war. Sei es das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972, auch hier ist seit vielen Jahren bekannt, dass die Stasi Abgeordnete gekauft hatte, der damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Wienand, wurde 1996 wegen Spionage für die DDR verurteilt. Findet hier alles nur zur Hälfte statt.

In diesen Kontext gehört dann auch die kritische Erwähnung des Verbots der FDJ und der KPD in der Bundesrepublik. Eine klare und konsequente Entscheidung des Prinzips der „wehrhaften Demokratie“ im Grundgesetz, eine Lektion aus der Weimarer Republik. Aber klar, ging ja „gegen links“. Dass vier Jahre vor der KPD die SRP als Nachfolgepartei der NSDAP verboten wurde, ist der Verfasserin jedoch keine Erwähnung wert. Passt es nicht ins Bild?

Auch die Ableitungen ihrer vielfachen Generalisierungen sind schwierig nachzuvollziehen, da muss dann eine Wandschschmiererei oder ein Brief als Beleg herhalten.

Die Verfasserin widerspricht sich noch auf den beiden letzten Seiten.
So ist der 20. Juli „ein Mythos, dem die Botschaft abhandengekommen ist“. Wenige Zeilen weiter kommt in dem Attentatsversuch dann „eine demokratische Qualität zum Ausdruck, die so etwas wie das unausgesprochene Vermächtnis der Menschen im Widerstand ist“. Ja, was denn nun?

Ich habe dieses Buch um die Wochen des 20. Juli 2024 gelesen. In vielen Zeitungsbeiträgen zum 80. Jahrestag des Attentats habe ich dabei mehr an kritischem Differenzierungsvermögen gefunden als in diesen 400 Buchseiten.

Zu Beginn habe ich „bekannt“, dass ich als Schüler die Verschwörer des 20. Juli bewundert habe, zugegeben, ohne all die Details und Differenzierungen zu kennen, die ja dann auch erst im Laufe der nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte erarbeitet wurden.
An dieser Bewunderung hat sich dennoch nichts geändert. Die Tat des 20. Juli bleibt als solche bestehen. Da muss man nichts mystifizieren, aber man muss auch nicht künstlich „entheroisieren“.

Ich finde das Buch auch deshalb problematisch, weil es aufgrund dieser Undifferenziertheiten keinerlei Hilfestellung für die Rückkopplung des Themas zur aktuellen Entwicklung bietet.
Der anwachsende Rechtspopulismus/Rechtsextremismus sollte doch dazu führen differenziert vorzugehen, diesen Teil der deutschen Geschichte nicht durch die vereinnahmen oder pervertieren zu lassen, die enttabuisieren wollen und versuchen, bestimmte Grenzen in ihrer Alltagspolitik und -rhetorik zu verschieben, wie das ein politisch aktiver ehemaliger Geschichtslehrer in Thüringen oder angeklagte „Reichsbürger“ in ihren Verteidigungsreden vor Gericht vorexerzieren. Es geht darum, sich mit allen Kräften gegen den Versuch dieser Kräfte zu wenden, diesen Teil deutscher Geschichte in einem schon pathologischen Anfall von Geschichtszynismus zu kapern.

Es bleibt eine gewisse Verwunderung, wie es dieses Buch auf die shortlist für den Deutschen Sachbuchpreis 2024 schaffen konnte und so hervorragende Bücher wie beispielsweise die Kant-Biographie von Markus Willaschek damit konkurrieren mussten.

Eine letzte editorische Anmerkung:
Die Kaufentscheidung zwischen hardcover oder ebook ist eine bewusste Auswahl-Entscheidung zwischen sehr unterschiedlichen Formaten. Erstmals habe ich es nun bei einem Sachbuch erlebt, dass man auf den Anmerkungsteil, (ein Literatur- oder Sachbegriffsverzeichnis gibt es nicht, nur einige Leseempfehlungen), nur mittels eines QR-Codes zugreifen kann. Ein solcher macht Sinn bei Büchern, in denen es um Musik und entsprechende Verweise auf Plattformen zum Hören der Titel geht, (interessant gemacht in der Autobiographie von Klaus Doldinger, „made in germany“ oder in Sergio de Molinos „Los alemanes“ – Besprechung von „Los alemanes“ demnöchst hier).
Bei diesem Buch ist ein solches Verfahren jedoch umständlich und eine Zumutung, leserfreundlich ist etwas anderes.
Hoffentlich macht dieses schlechte Beispiel keine Schule!

Ruth Hoffmann: Das deutsche Alibi – Mythos „Stauffenberg-Attentat – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird

ISBN -13 978-3442317226

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