von Norbert Frei Kein Heiliger, aber „ein ganz großer Häuptling“! Wenige Wochen vor seinem 150. Geburtstag am 5. Januar 2025 sind bereits drei neue Adenauer-Biographien erschienen, darunter die von Norbert Frei, emeritierter Historiker der Universität Jena. Frei will keine „akademische Übung“ vorlegen, sondern einen frischen Blick auf den ersten Kanzler der deutschen Nachkriegsdemokratie, der Bonner Republik, wagen um „zu verstehen, wie wir seit 1949 wurden, was wir sind: in unserem politischen und kulturellen Selbstverständnis als Deutsche und Europäer, im Zuschnitt von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, im Umgang mit unserer Vergangenheit“. Gerade in Zeiten, in denen zu häufig substanzlos schwadroniert wird, viele historische und schmerzliche Erfahrungen gedankenlos, nicht selten auch sehr bewußt über Bord gekippt werden, ist ein solcher Blick in unsere prägende Vergangenheit sinnvoll und wichtig! Frei zeichnet, ohne sich in allzu viele biographische Details zu verlieren, kompakt den Werdegang Adenauers, beginnend mit seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister, nach. Diese Jahre und Erfahrungen waren prägend dafür, dass Adenauer sich zeitlebens als ein Mann der Exekutive verstand. Der Begriff der „Kanzlerdemokratie“, verstanden als ein durch die Figur des Bundeskanzlers dominiertes Regierungssystem, ist im Wesentlichen auf die Adenauer-Zeit zurückzuführen. Aber die Zeiten, der Kontext einer „Kanzlerdemokratie“ haben sich in vielerlei Hinsicht geändert. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt naturgemäß in der Nachkriegszeit, beginnend mit Adenauers Wiedereinstieg in die aktive Politik, seinem hart erarbeiteten Aufstieg in der Neugründung der CDU und seiner Wahl zum Bundeskanzler mit seiner eigenen Stimme. Ja, hätte er denn gegen sich stimmen oder sich enthalten sollen? Die historischen Leistungen Adenauers werden werden prozesshaft analysiert und bewertet. Dazu zählen innenpolitische Grundentscheidungen wie die für die Soziale Marktwirtschaft, der entschiedene Kurs der Westintegration, deren Grundlage „Freiheit vor Einheit“ war, wobei sich Adenauer, dies war mir neu, offensichtlich für die DDR auch einen Österreich-Status vorstellen konnte. Zu nennen ist die Aussöhnung mit dem „Erzfeind“ Frankreich, deren Adenauer-Priorität innerhalb der Union mit einer starken Atlantiker-Fraktion nicht unumstritten war. Nicht zu vergessen ist die Annäherung an und die Wiedergutmachung am jüdischen Volk, den Begriff „Versöhnung“ sah Adenauer aus israelischer Perspektive sehr kritisch, da dies vom jüdishen Volk zuviel verlangt sei. Frei umgeht auch nicht den „Fall Globke“. Gemeint ist damit das Vielen unverständliche Festhalten Adenauers an seinem Staatssekretär Globke, der als Kommentator an den Nürnberger Rassegesetzen der Nationalsozialisten mitgearbeitet hatte und für die Kontinuität von Nazi-Funktionseliten in der frühen Bundesrepublik stand. Unverständlich für viele deshalb, da Adenauer selbst in keinster Weise mit den Nazis verbunden war, vielmehr von diesen als Kölner Oberbürgermeister abgesetzt und verfolgt wurde. Er musste mehrere Male für längere Zeit untertauchen, um der Verhaftung zu entgehen, und verbrachte die Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ ansonsten in der inneren Emigration. Nicht nur aus Verantwortung gegenüber seiner Familie lehnte er eine aktive Teilnahme am Widerstand ab. Er war vor allem der Überzeugung, dass die Nazi-Diktatur an sich selbst scheitern müsse, es dürfe zu keiner Neuauflage der die jungen Demokratie der Weimarer Republik belastenden „Dolchstoßlegende“ kommen. Zudem hegte Adenauer ein tiefes Misstrauen gegenüber seinen eigenen Landsleuten aufgrund der Nazi-Vergangenheit, dies schloss einen überaus kritischen Blick auf seine eigene, die katholische Kirche mit ein. Dennoch war sein praktisches Verhalten eher ein „therapeutisches Beschweigen der Vergangenheit“, um gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. Frei enthält sich einer Bewertung dieses Verhaltens, sieht allerdings in der „Causa Globke“ eine Dauerbelastung für Adenauer, ja ein „Stigma über seinen Tod hinaus“. Frei zeigt einen in der parteipolitischen Auseinandersetzung alles andere als, vorsichtig ausgedrückt, zimperlichen Politiker, für den, der ansonsten altersbedingt mit seinen Kräften haushalten musste, aber vor allem Wahlkampfzeiten der reine Jungbrunnen waren. Zur Ironie der Geschichte gehört dann, dass dieser „Haudrauf“ in den beiden dramatischen Krisen der jungen Bundesrepublik, dem Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 und dem Mauerbau am 13. August 1961 überaus zurückhaltend und mit großer realistischer und diplomatischer Vorsicht agierte, was ihm in der Öffentlichkeit jedoch als Zögern und Wegducken ausgelegt wurde und seinen Ruf beschädigte. Eindeutiger Schwerpunkt der ersten Adenauer-Jahre als Bundeskanzler war die wegen der umfassenden Kompetenzen der vier Besatzungsmächte nur eingeschränkt gestaltbare Außenpolitik, Adenauer war in den ersten Jahren auch sein Außenminister. Der erforderliche Drahtseilakt, als Vertreter eines nicht-souveränen Staates sich gerade auch aus innenpolitischen Gründen gegenüber den Besatzungsmächten nicht als unterwürfiger Bittsteller zu gerieren forderte Adenauer Einiges ab. Sein Verhalten, seine Durchsetzungskraft gegenüber den Besatzungsmächten, unvergessen seine Übertretung des alliierten Verbotes, den Teppich zu betreten, offenbarte nach Frei jedoch eine Persönlichkeit, „die in ihrem natürlichen Selbstbewußtsein, ihrem politischen Geschick und ihrer unverkrampften Würde kaum ihresgleichen hatte“. In diesem Feld lag ohne Frage einer der Gründe für die wachsende Zustimmung zu Adenauer. Zum bis heute in der Wirkungsgeschichte Adenauers unerreichbaren Höhepunkt wurde nach Frei aber, dass Adenauer 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, wenngleich um den Preis der eigentlich nicht gewollten Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion, die Freilassung und Heimkehr von rund 10 000 überlebenden Kriegsgefangenen erreichte. Mit der absoluten Mehrheit bei den Bundestagswahlen 1957, einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, war Adenauer auf dem Zenit seiner Laufbahn angekommen. Aber auch Adenauer zählt zu den großen Politikern, die den richtigen Zeitpunkt für einen würdigen, selbstgewählten Rückzug nicht nur verpassen, sondern vermasseln! Für ersetzbar hielt „der Alte“ sich nicht, schon gar nicht durch seinen laut Adenauer mit dem politischen Verstand einer Zigarrenkiste ausgestatteten Nachfolger Ludwig Erhard. Bei aller Kritik an Adenauer kann Frei aber auch eine gewisse Bewunderung nicht verleugnen. Wie Adenauer sich gegen alle Widerstände seine letzte Kanzlerschaft sicherte „ließe sich als das ruchlose Ringen eines Besessenen erzählen- oder als Trickserei eines begnadeten Takrierers“. Spätestens mit der sogenannten Bundespräsidentenkrise, Adenauer liebäugelte mit der Übernahme des Bundespräsidentenamtes, machte dann aber kurzfristig einen Rückzieher, offensichtlich, weil er die tatsächlichen Machtbefugnisse des überwiegend repräsentativen Amtes falsch eingeschätzt hatte, war der Zenit Adenauers überschritten. Sein Rückhalt auch in der eigenen Partei bröckelte zusehends, der „autoritär-patriarchalische Führungsstil“ hatte sich überlebt, die „Kanzlerdämmerung“ und mit ihr eine „diskursive Erstarrung“ setzten ein. Den zähen, unfreiwilligen Abschied von der Macht hat Adenauer bis zu seinem Tod nicht verwunden. Aber die Trauer, der Zuspruch, die Teilnahme hunderttausender Menschen auf seinem letzten Wege hätten ihn sicher versöhnlicher gestimmt. Im Rückblick betrachtet nehmen sich solche erfolgreichen Lebensläufe wie